Gelernt, wieder zu vertrauen
Michael* arbeitet seit Juli 2024 im Berufsbildungsbereich von Westfalenfleiß. Seine Beeinträchtigung merkt man ihm zunächst nicht an – typisch für „Fetale Alkoholspektrumstörung“.
Michael ist ein aufgeweckter, wortgewandter junger Mann, wie man sich ihn als Arbeitgeber nur wünschen kann. Und doch hatte der 21-Jährige mit seinem letzten Arbeitgeber große Probleme: Seine geförderte Ausbildung zum Schäftemacher, eine Zuarbeit für Schuhmacher, musste er nach Abschluss des zweiten Lehrjahres und erfolgreicher Zwischenprüfung im dritten Lehrjahr abbrechen. „Ich war sehr verzweifelt und resigniert und brauchte erstmal eine Weile, bis ich mir Hilfe gesucht habe“, erinnert sich der junge Mann.
(*Name geändert)

Hilfe fand er bei einer Fachklinik, die auf sogenannte Fetale Alkoholspektrumstörungen (kurz FASD von: Fetal Alcohol Spectrum Disorder) spezialisiert ist. Und nach einem Praktikum fing er im Sommer 2024 vor ungefähr einem Jahr im Berufsbildungsbereich von Westfalenfleiß an. Dieser ist der Werkstatttätigkeit vorgeschaltet und dient der Orientierung und dem Erlernen nötiger Grundlagen. Dort ist er in der Gärtnerei tätig. „Ich wollte eigentlich schon immer in die Landwirtschaft, und die Gärtnerei ist ja gewissermaßen die kleine Schwester“, sagt er. Westfalenfleiß kannte er schon von einem Schulpraktikum. „Das hat damals gut funktioniert, warum also nicht auch jetzt?“
Kleine Schritte
Nach seinem Tagesablauf gefragt, erzählt Michael sehr kleinteilig von jedem einzelnen Schritt – vom Ankommen mit dem Bus und dem Zurücklegen des restlichen Wegs mit dem Roller über das Zusammenstellen des Arbeitsmaterials bis zum eigentlichen Beginn der Arbeit. „Das ist ganz typisch für das Krankheitsbild“, weiß Janine Bock, Sozialarbeiterin im Sozialen Dienst von Westfalenfleiß. „Jeder Schritt wird sehr minutiös geplant und durchgeführt, aber auch bei jedem Detail kann es zu Störungen kommen.“
Solche Störungen erlebt Michael bei seiner Tätigkeit bei Westfalenfleiß durchaus immer wieder: „Zum Beispiel muss alles immer an seinem Platz sein. Ich kann auch schlecht damit umgehen, wenn irgendwo etwas liegt, wo wir schon gefegt haben.“ Seine Erkrankung, die der Alkoholkonsum seiner Mutter während der Schwangerschaft verursachte, habe autistische Züge. „Ich kann mein Wissen und meine Fähigkeiten auch nicht immer abrufen. Es ist dann so, als wenn ich das in einer Schublade habe, aber den Schlüssel auf die Schnelle nicht finde. Dann kann ich nicht weiterarbeiten, auch wenn es einen Tag vorher noch gut geklappt hat.“ Gerade so etwas werde vom Umfeld oft als Faulheit fehlinterpretiert, sagt Janine Bock. Die Diagnose FASD werde oft gar nicht oder erst sehr spät gestellt und ist auch in Fachkreisen noch zu wenig bekannt, obwohl gar nicht so selten.

Reize reduzieren
Wichtig sei dann, Reize zu reduzieren, Gelegenheit für Extrapausen zu geben, kleinere Schritte zu gehen. „Wir machen es so, dass es funktioniert“, sagt Janine Bock. Michael hat etwa mit einer reduzierten Arbeitszeit begonnen – von 8:30 Uhr bis 13 Uhr – und hat kürzlich schrittweise um eine halbe Stunde täglich verlängert – eine halbe Stunde, die einen Unterschied machen kann. Wichtig sind ihm auch seine Pausen. „Dann setz ich Kopfhörer auf und bin in meiner eigenen Welt.“
Michael sieht sich nun auf einem guten Weg: „Ich habe hier gelernt, wieder anderen Leuten zu vertrauen, mir Hilfe zu holen und zu sagen, wenn mich was stört. Ich arbeite mich langsam hoch“, sagt er zuversichtlich. Mittelfristig wolle er gerne die Arbeit auf Gut Kinderhaus kennenlernen und in eine eigene Wohnung ziehen; derzeit lebt er noch bei seinen Pflegeeltern. Und irgendwann könne er sich auch vorstellen, wieder auf dem ersten Arbeitsmarkt zu landen. Aber bis dahin sind es noch einige kleine Schritte.